Bauingenieur und Sicherheitsbeauftragter inspizieren Bauarbeiter im Team auf einer Baustelle. Im Hintergrund ist die Baustelle mit Gerüsten und Kränen zu sehen. © PantherMedia / bannafarsai@gmail.com

Kreislaufgerechtes Bauen

Das Konzept des kreislaufgerechten Bauens beruht auf der Idee, Baumaßnahmen so zu entwerfen, zu planen und umzusetzen, dass die eingesetzten Materialien am Lebenszyklusende wiederverwendet oder hochwertig recycelt werden können. Ein Gebäude wird damit zum Materialdepot, was den Immobilienwert nachhaltig erhöht.

Durchschnittlich werden mehr als 50 Prozent der Treibhausgas-Emissionen eines Gebäudes bei Rohstoffgewinnung, Herstellung, Transport, Wartung, Abriss und Entsorgung verursacht* Elbers, U. (2022): Ressourcenschonendes Bauen – Wege und Strategien der Tragwerksplanung. In: Bautechnik, 99(1), 57-64. ISSN 0932-8351. doi:10.1002/bate.202100114 . Deshalb reicht es für die Klimaneutralität nicht aus, den Fokus auf die Energieeffizienz im Gebäudebetrieb zu legen. Auch vor - und nachgelagerte Lebenszyklusphasen müssen berücksichtigt werden* Großklos, M.; Bischof, J.; Hörner, M. und Müller, A. (2021): Überlegungen zur Klimaneutralität bei Gebäuden. Institut Wohnen und Umwelt GmbH, Darmstadt. .

Die Grafik visualisiert den Lebenszyklus eines Gebäudes, die in eine Kreis angeordnet sind. Die Schritte sind Planungsphase, Bauphase, Nutzungsphase und Rückbauphase. Danach wird angedeutet, dass die Rückbauphase wieder in eine Planungsphase übergehen sollte. Darüber hinaus sollten nachhaltige Rohstoffquellen und Sekundärrohstoffe verwendet werden.© VDI ZREKreislaufgerechtes Bauen erfordert den Blick auf den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes und darüber hinaus.

Im Jahr 2020 wurden in Deutschland insgesamt 30,1 Mio. Tonnen Zement verbraucht* VDZ (2021): Zementindustrie im Überblick 2021/2022, Düsseldorf, (abgerufen am: 16.05.2022). . Nutzt man diese Menge allein für die Herstellung von Beton im Mischverhältnis 1:4, kamen schätzungsweise 120 Mio. Tonnen Gesteinskörnungen zum Einsatz. Die Gewinnung und Herstellung dieser enormen Mengen an Primärrohstoffen erscheint umso kritischer vor dem Hintergrund, dass in Deutschland jährlich ca. 230 Mio. Tonnen Bau- und Abbruchabfälle anfallen* Destatis (2021): Abfallbilanz 2019 (Abfallaufkommen/-verbleib, Abfallintensität, Abfallaufkommen nach Wirtschaftszweigen), (abgerufen am: 16.02.2022), S. 32. . Durch Urban Mining könnte die Abfallmenge und der Primärrohstoffbedarf reduziert werden.

Urban Mining

Das Foto zeigt einen Container; gefüllt mit Bauschutt. © PantherMedia / portosabbiaDas Ziel von Urban Mining ist es, Sekundärrohstoffe bestmöglich zu verwerten. Urban Mining ist, nach Definition des Umweltbundesamtes, die integrale Bewirtschaftung eines anthropogenen Lagers (menschengemachtes Stofflager wie z. B. Gebäude oder Straßen). Das Ziel dabei ist es, Sekundärrohstoffe aus langlebigen Gütern sowie Ablagerungen zu gewinnen. Im Unterschied zur Abfallwirtschaft, die sich mit der bestmöglichen Rückführung des Abfallaufkommens beschäftigt, betrachtet Urban Mining den Materialbestand und versucht, frühzeitig zukünftige Stoffströme zu prognostizieren. Auf diese Weise können bestmögliche Verwertungswege identifiziert werden, bevor der Abfall anfällt. Natürliche Ressourcen werden geschont, die Vorteile der Sekundärrohstoffnutzung ausgeschöpft sowie weitere Chancen für die Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft eröffnet* Umweltbundesamt (2022): Urban Mining (online). Umweltbundesamt (UBA), 16. Mai 2022, (abgerufen am: 19.05.2022). .

Allerdings zeigen die Abfallströme, dass Urban Mining im Gebäudesektor aktuell noch eine Herausforderung ist. Das Lebenszyklusende der Gebäude wurde bei der Planung in der Vergangenheit überwiegend nicht beachtet, weshalb sich heute Herausforderungen im sortenreinen Rückbau ergeben. Die Kreislauffähigkeit von Bauwerken muss als Entwurfsparameter verstanden werden, um den enormen Ressourcenverbrauch des Bauwesens zu reduzieren* Rosen, A. (2020): Urban Mining Index. Dissertation, Wuppertal. .

Wiederverwendung von Betonbauteilen

Die Demontage von Betonbauteilen und anschließende Wiederverwendung in neuen Bauprojekten ist eine Praxis, die spätestens am Lebenszyklusende von entsprechend kreislaufgerecht geplanten Gebäuden durchgeführt werden sollte. Abgeschlossene Projekte zeigen, dass diese Strategie bereits heute möglich ist und in Bezug auf Umweltauswirkungen und Kosten bereits vielfach erfolgreich praktiziert wurde. Als sogenannte „Spendergebäude“ eigneten sich in Deutschland insbesondere Plattenbauten.* Küpfer, C.; Bastien-Masse, M. und Fivet, C. (2023): Reuse of concrete components in new construction projects: Critical review of 77 circular precedents. In: Journal of Cleaner Production, 383, 135235. ISSN 0959-6526 (abgerufen am: 17.11.2023). doi:10.1016/j.jclepro.2022.135235

Prinzipiell können Beton-, Stahl- oder Spannbetonelemente wiederverwendet werden. Das größte Potenzial zur Wiederverwendung weisen vorgespannte Fertigbauteile auf, da sie i. d. R. keine Risse und dadurch eine erhöhte Dauerhaftigkeit haben. Darüber hinaus sind sie einfacher zu demontieren.* Suchorzewski, J.; Santandrea, F. und Malaga, K. (2023): Reusing of concrete building elements – Assessment and quality assurance for service-life. In: Materials Today: Proceedings. ISSN 22147853 (abgerufen am: 17.11.2023). doi:10.1016/j.matpr.2023.07.195

Gegenüber dem Betonrecycling kann die Wiederverwendung von Betonelementen deutlich ressourceneffizienter sein. Der Grund dafür ist, dass die energieintensiven Prozesse, die beim Recycling von Beton erforderlich sind (Recycling von Bewehrungsstahl und Produktion der neuen Bewehrung, Herstellung von Zement und von (Sekundär-)Gesteinskörnung, etc.) entfallen. Darüber hinaus kann der Materialkreislauf nahezu vollständig geschlossen werden. Die Herstellung von Recycling-Beton (R-Beton) ist derzeit nach DIN EN 206-1 und DIN 1045-2 auf einen Anteil von 45 Vol.-% Sekundärgesteinskörnung und die Festigkeitsklasse C30/37 beschränkt. Wiederverwendete Betonelemente können möglicherweise sogar höhere Festigkeiten aufweisen.

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Zustandsbewertung und Bestimmung der Restlebensdauer von Betonbauteilen

Die Dauerhaftigkeit und die Bewertung der verbleibenden Nutzungsdauer sind wesentliche technische Hindernisse bei der Wiederverwendung von Betonbauteilen. Gründe hierfür sind, dass aktuelle Normen diese Faktoren aktuell durch Bemessungsansätze anstatt durch leistungsbezogene Vorschriften definieren. Forschungsinstitute arbeiten daran, standardisierte Methoden zur Material- und Strukturbewertung zu entwickeln. 

In dem Ansatz nach Suchorzewski et al. * Suchorzewski, J.; Santandrea, F. und Malaga, K. (2023): Reusing of concrete building elements – Assessment and quality assurance for service-life. In: Materials Today: Proceedings. ISSN 22147853 (abgerufen am: 17.11.2023). doi:10.1016/j.matpr.2023.07.195 ist nach Sichtung aller vorhandenen Dokumente eine Begehung des Bestandgebäudes vorgesehen. Hierbei werden zerstörungsfreie Prüfverfahren angewendet: Bestimmung der Druckfestigkeit mittels Rückprallhammer, Scannen der Bewehrung, Bestimmung der Betondeckung mittels Scanner sowie Dokumentation von Rissen und sonstigen sichtbaren Schäden. Zusätzlich werden Bohrkerne entnommen, um anschließend im Labor die Druckfestigkeit, Karbonatisierungstiefe und den Chloridgehalt zu bestimmen. Die Entnahme von Bewehrungsproben liefert Aufschluss über die vorhandene Zugfestigkeit. Mit diesen Informationen können perspektivisch zurückgewonnene Fertigteile klassifiziert werden.* Suchorzewski, J.; Santandrea, F. und Malaga, K. (2023): Reusing of concrete building elements – Assessment and quality assurance for service-life. In: Materials Today: Proceedings. ISSN 22147853 (abgerufen am: 17.11.2023). doi:10.1016/j.matpr.2023.07.195

Nach dem Ausbau der Elemente ist ggf. eine Zwischenlagerung erforderlich, wobei die dort vorherrschenden Umgebungsbedingungen bedeutsam für die verbleibende Restnutzungsdauer der Elemente sind. Eine Lagerung im ungeschützten Außenbereich kann sich mitunter negativ auf die Materialeigenschaften auswirken.* Suchorzewski, J.; Santandrea, F. und Malaga, K. (2023): Reusing of concrete building elements – Assessment and quality assurance for service-life. In: Materials Today: Proceedings. ISSN 22147853 (abgerufen am: 17.11.2023). doi:10.1016/j.matpr.2023.07.195 Des Weiteren besteht der Konsens, dass sich die zunehmende Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und die globale Erwärmung beschleunigend auf die karbonatisierungsbedingte Degradation klassischer Stahlbetonelemente auswirkt* Xia, B.; Xiao, J. und Li, S. (2022): Sustainability-based reliability design for reuse of concrete components. In: Structural Safety, 98, 102241. ISSN 01674730 (abgerufen am: 21.11.2023). doi:10.1016/j.strusafe.2022.102241 . Das sollte bei der Bewertung der Dauerhaftigkeit ebenfalls berücksichtigt werden. Xiao et al. nutzen die Machine Learning-Technologie, um komplexe Zusammenhänge für die Prognose der verbleibenden Lebensdauer zu nutzen. Als Datengrundlage werden in-situ ermittelte Werte der aktuellen Karbonatisierungstiefe, Bewehrungskorrosion und Betondeckung mit Wetterdaten aus der Vergangenheit (Temperatur, CO2-Konzentration und relative Luftfeuchtigkeit) und Klimaprognosen kombiniert.* Xia, B.; Xiao, J. und Li, S. (2022): Sustainability-based reliability design for reuse of concrete components. In: Structural Safety, 98, 102241. ISSN 01674730 (abgerufen am: 21.11.2023). doi:10.1016/j.strusafe.2022.102241

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Rückbau- und Anpassungsfähigkeit

Die Norm ISO 20887:2020-01 liefert Grundsätze und konkrete Anforderungen und Leitlinien zum Planen der Rückbaubarkeit und Anpassbarkeit* ISO 20887:2020-01, Nachhaltigkeit von Gebäuden und Ingenieurbauwerken - Planung der Rückbaubarkeit und Anpassbarkeit - Grundsätze, Anforderungen und Leitlinien, Beuth Verlag GmbH. . Nach diesen Leitlinien kann die Lebensdauer der Gebäude und der eingesetzten Bauwerksteile sowie Bauprodukte maximiert werden. Daraus ergibt sich zukünftig ein großer Ressourcenschonungseffekt im Bauwesen, so die Annahme.

Mithilfe des Ressourcenchecks Recyclinggerechtes Konstruieren können Maßnahmen, Methoden sowie Werkzeuge identifiziert werden, die beim kreislauffähigen Konstruieren helfen. Insbesondere ist auf die richtige Materialwahl und deren Fügung im Bauwerk zu achten.

Kreislauffähiges Bauen lohnt sich

Das Foto ist eine Collage von verschiedenen Baumaterialien. Die Materialen sind im Anschnitt quaderförmig angeordnet. Zu sehen sind beispielsweise Holz, Ziegel, Stein und weitere bunte Materialien.© Fotolia / Ingo BartussekIm digitalen Gebäuderessourcenpass werden Informationen zu den verbauten Materialien festgehalten.Ein wichtiges Instrument im Zusammenhang mit kreislauffähigem Bauen ist der digitale Gebäuderessourcenpass. Darin werden alle lebenszyklusrelevanten Gebäudeinformationen dokumentiert. Auf diese Weise können Treibhausgas-Emissionen, das mögliche Verwertungsszenario, der aktuelle Materialwert und weitere Kennzahlen jedem Bauteil zugewiesen werden. Die Informationen ermöglichen zukünftig eine effizientere Planung von Um- oder Rückbaumaßnahmen. Zusätzlich kann der Immobilienwert jederzeit unter Berücksichtigung der aktuellen Materialwerte ermittelt werden* Madaster (2022): Forderungen an einen digitalen Gebäuderessourcenpass (online). Madaster Germany GmbH, (abgerufen am: 01.03.2022). .

In der betriebswirtschaftlichen Betrachtung ergibt sich durch kreislauffähiges Bauen ein höherer Immobilienwert von bis zu zehn Prozent im Vergleich zu konventionellen Gebäuden. Das Risiko eines Wertverlusts ist reduziert, die Chancen auf Werterhalt und zukünftige Wertsteigerungen sind erhöht, vor allem unter Anbetracht zunehmender Rohstoffknappheit* BundesBauBlatt (2021): Kreislauffähiges Bauen zahlt sich aus (online), (abgerufen am: 17.05.2022). .

Online-Angebote des VDI Zentrums Ressourceneffizienz

  • Ressourcenchecks
    • Recyclinggerechtes Konstruieren im Bauwesen

      Mit diesem Ressourcencheck können Sie anhand verschiedener Fragestellungen die eigenen Potenziale zum recyclinggerechten Bauen analysieren. Im Ergebnis werden grundlegende Strategien, Werkzeuge und Gute-Praxis-Beispiele für recyclinggerechtes Konstruieren aufgezeigt.

      Recyclinggerechtes Konstruieren im Bauwesen
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Online-Angebote des VDI Zentrums Ressourceneffizienz

Publikationen zum Thema „Ressourcenverbrauch im Bauwesen“

Broschüren

Nachhaltiges Bauen – Ein Mehrwert für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)

Planen Betriebe nachhaltig zu bauen, können sie von einer längeren Lebensdauer ihres Gebäudes und langfristig von reduzierten Kosten profitieren. Das VDI ZRE informiert in dieser Broschüre KMU rund um das Thema nachhaltiges Bauen und stellt Umsetzungsbeispiele aus der Praxis vor.

 

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Das Bild zeigt die Holzfassade eines Gebäudes.© JUHR Architekturbüro für Industriebau- und Gesamtplanung

Ressourceneffizienz im Bauwesen – Von der Planung bis zum Bauwerk

Die Broschüre gibt einen Überblick über die Definition der Ressourceneffizienz und Möglichkeiten, Ressourceneffizienzaspekte von der Planung bis zur Bauausführung zu integrieren. Sie enthält weiterführende Informationen und hilfreiche Werkzeuge sowie Praxisbeispiele.

 

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Das Bild zeigt die Fassade und den Innenhof eines Neubaus.© ZRS Architekten

Ressourceneffizienz durch Building Information Modeling – Anforderungen und Potenziale

Bereits in den frühen Planungsphasen eines Bauwerks werden die Weichen für einen möglichst effizienten Umgang mit natürlichen Ressourcen gestellt. Mit Hilfe von Building Information Modeling (BIM) lässt sich der gesamte Planungsprozess optimieren und der Einsatz natürlicher Ressourcen minimieren.

 

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Coverbild der VDI ZRE Broschüre "Ressourceneffizienz durch Buidling Information Modeling"© kister scheithauer gross architekten und stadtplaner GmbH